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Wege aus der Spirituellen Not

Drei Jahre „Projekt Spiritualität” im Kirchenkreis Stormarn


Sogenannte „kirchendistanzierte” Menschen sind rätselhafte Wesen: Gottesdienst nach klassischem Muster wollen sie nicht. Aber was wollen sie dann? Wollen sie überhaupt noch mit der Kirche zu tun haben? Im Kirchenkreis Stormarn gibt es eine erstaunliche Entwicklung: Menschen, die von sich sagen, dass sie der Kirche fern stehen, teilweise schon seit Jahren keine mehr betreten haben, beschäftigen sich mit großer Begeisterung mit mittelalterlicher Mystik und üben sich im Herzensgebet. Steffen Becker stellt das „Projekt Spiritualität” vor: Das Licht ist gedämpft, leise ertönt Entspannungsmusik. Ein Blumengesteck und eine brennende Kerze stehen mitten im leergeräumten Sitzungssaal der Kirchenkreisverwaltung. Die ersten Teilnehmer der Meditationsgruppe treffen ein, legen jeweils eine weiche Matte vor sich auf den Boden und rücken Meditationshocker und –kissen zurecht. Die rund 20 Frauen und Männer werden diesen Abend mit Körpergebeten, meditativem Gehen, Singen und Schweigen verbringen. Die Meditationsabende gehören zum „Projekt Spiritualität”, das im Kirchenkreis Stormarn seit drei Jahren aktiv ist. Erfahrbare Spiritualität - das vermissen viele Menschen auch nach der neuesten EKD-Mitgliederbefragung in der evangelischen Kirche. Zu verkopft, zu dogmatisch, zu starr seien die Gottesdienste. Ähnliches hatten Gemeindemitglieder auch bei einer Art Zukunftswerkstatt geäußert, die der Kirchenkreis Stormarn 1998 (?) veranstaltete.

Man fand dabei auch heraus: Längst nicht immer ist Fernbleiben vom Gottesdienst Ausdruck von Desinteresse an religiösen Inhalten! Ein beachtlicher Teil der Menschen, die sich von ihrer Kirche zurückgezogen haben, hat religiöse Bedürfnisse, Fragen und Sehnsüchte, die im Gottesdienst nicht gestillt werden. Karlheinz Ruppert, Gemeindepastor und Kursleiter beim „Projekt Spiritualität” beobachtet eine wachsende „spirituelle Not”.

Im Kirchenkreis Stormarn zog man die Konsequenz aus der Befragung der Gemeindemitglieder und gründete das „Projekt Spiritualität”. Seit Herbst 2000 sind mittlerweile sieben Halbjahresprogramme mit mehr als 100 Angeboten erschienen. Über 1000 Menschen haben an Wochenend-Seminaren und Abendveranstaltungen teilgenommen.

„Ein normaler Gottesdienst spricht mich nicht an, da gehe ich nicht hin. Beim ‚Projekt Spiritualität’ bin ich dagegen schon beinahe von Anfang an dabei” freut sich Birgit Wolf aus der Meditationsgruppe, und betont, für sie sei es „ein guter Einstieg gewesen um herauszufinden, was Gott mir bedeutet.” Auch Annette Kaufmann-Knopf bezeichnet sich als kirchenfern. Sie hat lange buddhistische Meditation eingeübt. Im „Projekt Spiritualität” begegnete sie erstmals der christlichen Mystik: „Mir war gar nicht klar, dass es auch eine christliche spirituelle Tradition gibt.” Das ist für sie sehr wichtig: „Auch wenn ich kirchenfern bin, das ist doch die Kultur, in der ich aufgewachsen bin. Der Buddhismus ist mir immer ein bisschen fremd geblieben.”

Die christliche Mystik erlebt eine kleine Renaissance in der evangelischen Kirche. Mittelalterliche Autoren wie Meister Eckhart und Teresa von Avila werden wieder entdeckt. Christliche Exerzitien und Meditationstechniken aus dem Zen-Buddhismus machen deren Botschaften erfahrbar. Es gibt Versuche von Kirchengemeinden in verschiedenen deutschen Städten, eine erfahrungsorientierte Spiritualität anzubieten. Das „Projekt Spiritualität” des Kirchenkreises Stormarn ist eines der erfolgreichsten. Aus einem „Projekt“ ist eigentlich schon eine „Institution” geworden, die eine wachsende Zahl von Gemeindemitgliedern nicht mehr missen möchte. Das ergeben nicht zuletzt auch die von den Teilnehmern ausgefüllten Fragebögen, die die Projektleitung regelmäßig auswertet.

Die typischen Teilnehmer der Veranstaltungen des „Projekts Spiritualität” sind weiblich, zwischen 35 und 50 Jahren alt und überdurchschnittlich gebildet. Viele von ihnen bringen Meditationserfahrung mit. Sie haben ganz bewusst das kirchliche Angebot der Meditation gewählt, und nutzen „Malen aus der Stille”, „Tanz als Meditation” oder „Ein stiller Tag für mich”, um ihren christlichen Wurzeln nachzuspüren und Kraft daraus zu schöpfen. Koordiniert wird das Projekt von Annekatrin Hennenhofer. Die Theologin sucht die Referenten sorgfältig aus: „Sie müssen ihren Weg schon ein gutes Stück gegangen sein, sonst sind sie nicht glaubwürdig.” Ihr liegt die zentrale Bedeutung der christlichen Botschaft in allen Veranstaltungen sehr am Herzen. „Ich mache in der Meditation Erfahrungen mit mir und mit Gott. Meditieren heißt ja, sich der Wirklichkeit Gottes zu öffnen.”

Auch die Kursleiter erhalten eine neue Perspektive: Pastor Gerhard Bothe leitet mit seiner Frau, der Diplompsychologin Inga Bothe „Der Trauer eine Stimme geben – Ein Ritual zum Totensonntag”. Während viele Pastoren angesichts leerer Kirchen zunehmend frustriert sind, erhält er bei diesen Seminaren ein ausgesprochen herzliches Feedback von Teilnehmern, die der Kirche explizit fern stehen: „Diese Menschen sind ausgesprochen dankbar, wenn sie Kirche anders erleben, fragend, auch zweifelnd. Dann sind sie auch bereit, von sich zu geben. Das berührt mich sehr.” Mit einem Kollegen hat Bothe außerdem ein Angebot speziell für Männer aufgebaut, so dass nun tatsächlich die „Männerquote“ bei den Teilnehmern spürbar steigt: „Der vierfache Weg – Ein Wochenende für Männer”.

Pastor Karlheinz Ruppert, der mit Annekatrin Hennenhofer die Meditationsgruppe „Wege zum inneren Menschen” leitet, erlebt  bei Gesprächen mit den Teilnehmern oft eine entschieden distanzierte Haltung gegenüber der Kirche: „Sie wollen nicht, dass man ihnen moralisch kommt. Sie wollen ihren eigenen Weg gehen.” Und dort sieht er auch seine Aufgabe: „Sie wünschen sich auf ihrem Weg eine Begleitung.”

Das „Projekt Spiritualität” lässt ausdrücklich Raum für Zweifel und für andere religiöse und spirituelle Erfahrungen. „Wir betreiben keine Mission”, so Hennenhofer, „wir Kursleiter stehen aber klar mit einer christlichen Botschaft da, das ist eindeutig und wird von den Teilnehmern auch so gewünscht.”

Zwar gibt es einige interne Kritiker, nach deren Überzeugung der Kirchenkreis mit diesem Projekt den „Kirchendistanzierten” zu weit entgegenkommt. Doch die überwiegende Mehrheit der Kirchenmitarbeiter beobachtet die Entwicklung aufgeschlossen und interessiert. Einige Pastoren freuen sich, dass auf diese Weise Menschen in ihren Gemeinden erreicht werden, für die sie zwischen Taufe, Konfirmandenunterricht, Sonntagspredigt und klassischer Seelsorge nicht genügend Zeit finden.
Und die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen lobte kürzlich: „Das Stormarner Projekt Spiritualität ist für mich ein gutes Beispiel. Dieses Projekt  bietet die Möglichkeit, sich zu orientieren,  wieder Kraft zu schöpfen und in eine evangelische Spiritualität und  Frömmigkeit hineinzuwachsen.” Nach Meinung der Projektleiterin Hennenhofer hat sich das Pionierprojekt längst bewährt: „Ich glaube, es ist bitter nötig, dass viele Kirchengemeinden solche Projekte einführen.”

Kurz vor 21 Uhr im Saal des Kirchenkreisamtes. Die Seminarleiter Ruppert und Hennenhofer geben einen Ausspruch Meister Eckarts mit auf den Weg, der Meditationsabend geht zu Ende. Matten und Hocker werden wieder weggeräumt. Einige Teilnehmer verlassen schweigend den Saal. „Manche möchten diese Stille, die sie gefunden haben, mit nach Hause nehmen, noch ein bisschen in den Alltag hinein retten”, weiß Annekatrin Hennenhofer. Die Gruppe respektiert das. Man kennt sich, hat teilweise schon etliche Abende Seite an Seite meditiert. Auch Heike Schiller genießt die angenehme Atmosphäre in der Gruppe: „ Diese Offenheit, diese Wertschätzung des Anderen, diese Achtsamkeit.” Sie hat lange nach genau so einem Angebot Ausschau gehalten: „Ich habe etwas gesucht, wo ich Spiritualität auch im Alltag finden kann. Das könnte ich bei der Volkshochschule natürlich nicht, denn meine Meditationen beziehen sich auf Gott.” Sie verlässt zusammen mit anderen das Kirchenkreisgebäude und das Schild „Bitte Ruhe – Meditationsgruppe” wird wieder weggeräumt bis zur nächsten Veranstaltung des „Projekts Spiritualität”

(Artikel über das Projekt Spiritualität, veröffentlicht in den „Nordelbischen Stimmen”, 2003)

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