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„Ja, wenn auch das Kirche ist ...”

Ein Jahr Projekt Spiritualität im Kirchenkreis Stormarn

Seit September 2000 macht das Projekt Spiritualität des Kirchenkreises Stormarn Angebote im Bereich „Meditation, Kontemplation und innere Orientierung”. Vorausgegangen war eine mehr als zweijährige Recherche- und Konzeptionsphase. Über erste Erfahrungen mit dem Projekt berichtet Steffen Becker, verantwortlich für die Public Relations (PR) im Kirchenkreis Stormarn und zusammen mit Annekatrin Hennenhofer Leiter des Projektes Spiritualität.

Der Auftrag

Im November 1998 beauftragte der Kirchenkreisvorstand Stormarn Annekatrin Hennenhofer, damals Leiterin des Frauenwerkes, und mich, ein Konzept zu entwerfen: Wie können wir mit Menschen, die nur noch wenig oder keinen Kontakt zur Kirche haben, jedoch gleichzeitig auf der Suche nach spiritueller Erfahrung sind, in Dialog treten und neue Angebote für sie entwickeln. Der Auftrag war zweifach begründet: zum einem hatte die neue und zusätzlich eingerichtete PR-Stelle explizit die Aufgabe, Kontakt zu den sogenannten „Distanzierten” oder „Kirchenfernen” aufzunehmen[1]. Zum anderen stellte sich für die Frauenarbeit die Frage, wie die feministisch-theologischen Ansätze der Dekadearbeit so weitergeführt werden, dass sie der Gesamtkirche und ihren Mitgliedern zur Verfügung stehen.

Das Projekt wurde von Anfang an in enger Zusammenarbeit mit der potentiellen Zielgruppe entwickelt: In sogenannten Focusgruppen haben wir intensive Gespräche mit Kirchenfernen zu ihrem Verständnis von Spiritualität und ihrer Sehnsucht nach spiritueller Erfahrung geführt. Thema war auch ihr Bild der Evangelischen Kirche und ihre Erwartungen an sie.

Das Projekt

Im Frühjahr 2000 beschloss der Kirchenkreisvorstand auf grund der vorgelegten Konzeption das zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt Spiritualität mit einer Stelle (Annekatrin Hennenhofer) plus acht Stunden (aus PR) gemeinsamer Projektleitung und acht Stunden Sekretariat. Im Herbst 2000 erschien unser erstes Programm. In Stichworten umrissen, lässt sich unsere Arbeit folgendermaßen beschreiben: Zielgruppe unserer Veranstaltungen sind - wie oben beschrieben - die fünfzehn bis zwanzig Prozent unserer Kirchenmitglieder beziehungsweise der Bevölkerung, die auf der Suche nach religiöser Erfahrung sind, den traditionellen Glaubensangeboten jedoch eher distanziert gegenüberstehen. Unsere Angebote reichen von niedrig schwelligen, einführenden Veranstaltungen am Nachmittag oder Abend, zum Beispiel „Himmlische Gesänge”, „Malen aus der Stille” sowie körperorientierten Workshops oder dem Forum Spiritualität, das spirituelle Themen reflektiert, bis zur fortlaufenden Meditationsgruppe und mehrtägigen Seminaren wie der „Spiritualität der Schöpfung”, „Kraft der Mitte – Einführung in christliche Meditation und Kontemplation” oder „Advent – finde dein inneres Licht”. Die Veranstaltungen finden zur Zeit im Kirchenkreisgebäude, der Tagungsstätte „Haus am Schüberg” und in den Kirchengemeinden Farmsen-Berne und Sasel statt. Wichtige Leitsätze unserer Arbeit sind:

  • Wir bieten Erfahrungsräume und Methoden, die die Suche nach Sinn und Glaubenserfahrung unterstützen können. Den Weg, das Tempo und die Form der Suche nach Erfahrung bestimmt jede/r für sich.
  • Die Grundlage unseres Handeln sind unsere christlichen Wurzeln, besonders der teilweise verschüttete Schatz der christlichen Mystik. Wir sind jedoch gleichzeitig offen für die Erfahrungen und das Wissen anderer Religionen und beziehen diese in unsere Arbeit ein.
  • „Spiritualität” bedeutet für uns nicht reine Innerlichkeit und Weltabgewandtheit. Der „Weg zur eigenen Mitte” ist eine wichtige Kraftquelle, um in der Welt verantwortlich und solidarisch handeln zu können.
  • Unsere ReferentInnen und KursleiterInnen verstehen sich als BegleiterInnen von spirituellen Prozessen, die nicht zu Abhängigkeit von festen Programmen und Personen führen. Sie unterstützen vielmehr, den eigenen spirituellen Lebensweg zu gehen und im Alltag leben zu können.

Erste Erfahrungen

Die quantitative Seite: Unsere Angebote werden sehr gut angenommen, die Auslastung lag im 2. Halbjahr 2000 bei 98 Prozent (139 TeilnehmerInnen und 181TeilnehmerInnentage[2] ), im 1. Halbjahr 2001 bei erheblich ausgeweitetem Angebot bei 89 Prozent (267 TeilnehmerInnen und 573 TeilnehmerInnentage). Von den TeilnehmerInnen zählen sich nach Selbsteinschätzung etwa zwei Drittel zu den Kirchenfernen, ein Drittel fühlt sich der Kirche eng verbunden. Der Anteil der Männer lag zunächst bei fünf Prozent und steigt nun langsam an.

Die qualitative Seite: Erstaunt und überrascht waren wir von der Intensität des Kontaktes, die in vielen Veranstaltungen spürbar war. Wir haben viele positive Rückmeldungen bekommen, die wenigen kritischen Anfragen der TeilnehmerInnen waren durchweg konstruktiv und unterstützend. Für viele sind unsere Veranstaltungen nach langer Zeit wieder der erste Kontakt mit der Kirche. Ihre Erfahrungen oder Fantasien mit und von der evangelischen Kirche lassen sich beschreiben mit Sätzen wie: „Die Kirche weiß immer wo es langgeht.”, „Die traditionellen Rituale erscheinen uns leer und sind häufig eine Geheimsprache für uns.” oder „Es wird im Gottesdienst zu viel geredet und zu wenig geschwiegen.” Mit unseren Angeboten haben sie positive und in sich stimmige Gegenerfahrungen gemacht („Wenn auch das Kirche ist, habe ich wieder Lust dabei zu sein.”). Deutlich wird, dass ein Teil der TeilnehmerInnen ein großes Bedürfnis nach spiritueller Erfahrung in ihrem eigenen kulturellen Zusammenhang – nämlich dem christlichen – hat und nach der Erfahrung mit anderen Religionen auch wieder einen erfahrungsorientierten Zugang zum Christentum sucht. Wichtig ist ihnen allerdings: „Seid offen und akzeptiert, dass es für verschiedene Menschen verschiedenen spirituelle Wege gibt und nicht nur den christlichen.”

Innerhalb des Kirchenkreises sind die Reaktionen auf das Projekt Spiritualität unterschiedlich: Viele PastorInnen, MitarbeiterInnen und Ehrenamtliche stehen dem Projekt positiv gegenüber oder unterstützen es (an dieser Stelle herzlichen Dank für das große Engagement von Pastor Karlheinz Ruppert): Zum einen empfinden sie als Hauptamtliche das Projekt als Entlastung („Eigentlich müsste ich ja in meiner Ortsgemeinde auch so etwas machen, jetzt kann ich weiter vermitteln.”), zum anderen beschrieb ein Teil der PastorInnen und MitarbeiterInnen in Vorgesprächen zum Projekt die erfahrungsorientierte Seite der Spiritualität als defizitär in unserer Kirche und erhofft sich vom Projekt neue Anstöße nach innen. Ein anderer Teil steht dem Projekt eher tolerant-gleichgültig gegenüber: „Diese Art von Spiritualität ist nicht meine, aber ich sehe ein und akzeptiere, dass andere diesen Weg gehen und Begleitung suchen.” Schließlich gibt es auch Befürchtungen, das Projekt wolle den Ortsgemeinden Konkurrenz machen oder weiche das klare evangelisch-lutherische Profil unsere Kirche auf. Diese Befürchtungen nehmen wir ernst. Sie sind nach unserer Meinung und Erfahrung jedoch nicht begründet: Das Projekt ist sowohl inhaltlich wie strukturell eine Ergänzung zu traditionellen wie ortsgemeindlichen Angeboten. Es ist kein Ersatz für sie oder etwa ein „besserer” spiritueller Weg. Die Erfahrungen des letzten Jahres zeigen im Gegenteil: Viele TeilnehmerInnen werden durch die positive Erfahrung mit unserer Kirche im Rahmen des Projektes neugierig auf die „restliche” Kirche und sind bereit, ihre zum Teil biographisch früh geprägten Urteile über die Kirche zu überprüfen. Auch was die Profilschärfung der Kirche betrifft, plädiere wir für den umgekehrten Weg: Wer sich abschottet und sich nicht auf einen ergebnisoffenen Dialog sowohl mit Kirchenfernen wie mit VertreterInnen anderer Religionen einlässt, vergibt die Chance, die eigene Identität klarer wahrzunehmen und zu entwickeln. Gerade die interreligiösen Begegnungen und Erfahrungen, die über den rein kognitiven Diskurs hinausgehen, helfen uns als Kirche zu erkennen, was „eigentlich” christlich ist, was uns mit anderen Glaubenswegen anderen Religionen verbindet und was Stärken und Schwächen unserer Tradition sind.

Perspektiven

Nach außen: Der Bedarf nach weiteren Angeboten besteht, wir versuchen, diesem Bedarf durch neue Angebote zu entsprechen. Allerdings wird zur Zeit ein Mangel des Projektes sichtbar: Nur durch weitere ReferentInnen, die auf Honorarbasis engagiert werden, wird das Projekt nicht sinnvoll wachsen. Wir brauchen gleichzeitig qualifizierte Menschen aus dem Kirchenkreis, die als Personen für das Projekt stehen und auch längerfristige TeilnehmerInnen begleiten. Deshalb richten wir nach der „Startphase” das Augenmerk nun stärker auch auf den Kontakt nach innen: geplant ist eine Fortbildung unter anderem für PastorInnen und kirchliche MitarbeiterInnen im Kirchenkreis und - als Forum für die interne theologische Reflexion - regelmäßige Fachgespräche über die durch das Projekt angestoßenen Themen. Ziel ist es, Lust und Mut zu machen zum Dialog mit denen, die oft hilfreiche und für die lebendige Entwicklung der Kirche zentrale Fragen stellen: den Kirchenfernen.
 

[1] Hier zeigt sich übrigens, dass Wolfgang Lenks in der Praxis häufig zutreffende These (NEST 8/01, S.8), dass Organisationsentwicklung (OE) und spirituelle Weiterentwicklung im Gegensatz gedacht werden, eher auf die mangelnde Qualität des Auftrages an die Organisationsentwicklung verweist als einen strukturellen Gegensatz beschreibt: Die Entscheidung für das Projekt Spiritualität war letztlich auch Konsequenz des dreijährigen Organisationsentwicklungsprozess (Moratoriumsprozess) im Kirchenkreis Stormarn. Denn ein Resultat dieses Prozesses war die Einrichtung einer Stelle Personalentwicklung und einer Stelle Public Relations. Angesichts der Tatsache, dass der Evangelischen Kirche von den Kirchenfernen zwar hohes sozialpolitisches und diakonisches Engagement zuschrieben wird, sie die Kompetenz der Kirche in Glaubens- und Sinnfragen jedoch als sehr gering eingeschätzten, besteht sowohl unter dem Gesichtspunkt von OE wie PR dringender Handlungsbedarf:. Denn – in  der Sprache der Öffentlichkeitsarbeit ausgedrückt - das Thema „Spiritualität” gehört zum „Markenkern” der Kirche, zu dem was uns als Kirche primär ausmacht. Von daher ist es „unternehmerisch” zwingend geboten, diesen Bereich zu qualifizieren und zu profilieren, ohne einem spirituellen Modetrend nachzulaufen. Denn im letzten Heft ist bereits deutlich geworden: Angesichts der gesellschaftlichen Trends wird die Suche der Menschen nach Sinn und Glaubenserfahrung eher zu- als abnehmen.

[2] „TeilnehmerInnentage” sind die Anzahl der TeilnehmerInnen malgenommen mit der Anzahl der Veranstaltungstage: ein zweitägiges Seminar mit 15 TeilnehmerInnen ergibt 30 TeilnehmerInnentage.

 

(Artikel von Steffen Becker in den Nordelbischen Stimmen, 2001)

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